Wenn der Körper zum Gefängnis wird
Die unheilbare Nervenkrankheit: Was ist ALS?
Der britische Astrophysiker Stephen Hawking litt jahrzehntelang unter ALS.
© Quelle: Stefan Zaklin/Dpa
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Das Nervensystem ist gestört, die Muskeln bauen sich ab: Die Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, legt den Körper lahm. Die Krankheit ist zwar sehr selten, wenn sie auftritt, hat sie jedoch tödliche Folgen. Wie sie entsteht und warum sie unheilbar ist – ein Überblick.
Stephen Hawking ist gerade einmal 21 Jahre alt, als er die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose bekommt. Ein ungewöhnlich frühes Alter. Die meisten Menschen erkranken erst zwischen 60 und 80 Jahren an ALS, wie die Krankheit in Kurzform heißt. Und noch etwas ist bei dem britischen Astrophysiker, der durch seine Theorien über den Urknall, Schwarze Löcher und die Quantenphysik weltweit bekannt wird, anders: Entgegen der Erwartungen von Ärztinnen und Ärzten lebt er überraschend lange mit der Krankheit. 55 Jahre. Er stirbt im Alter von 76 Jahren.
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Der Name Hawking wird wohl für immer auch mit einer tödlichen Krankheit in Verbindung stehen. Der Brite ist einer von wenigen Betroffenen. Die Erkrankung ist sehr selten. Pro Jahr erkranken nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke etwa ein bis zwei von 100.000 Menschen. Doch was macht ALS aus? Wie entsteht die Krankheit? Und warum ist sie so tödlich? Fragen und Antworten im Überblick.
Was Sie über Amyotrophe Lateralsklerose wissen müssen
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Hinter der Abkürzung ALS verbirgt sich eine schwere Erkrankung des Nervensystems. Genauer gesagt ist bei der Krankheit eine bestimmte Gruppe von Nervenzellen betroffen: die motorischen Nervenzellen, auch Motoneuronen genannt. Sie sind im Gehirn und Rückenmark zu finden und steuern die Muskeln.
Bei ALS werden die Motoneuronen zerstört. Das führt dazu, dass sie keine Impulse mehr an die Muskeln übertragen können. Es kommt zu unwillkürlichen Muskelzuckungen, einem Muskelschwund und zu einer Muskelschwäche in den Armen und Beinen, ebenso wie in der Atemmuskulatur. Häufig beginnt ALS mit einer einseitigen Muskellähmung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, zu schreiben oder Dinge zu greifen. Beschwerden beim Schlucken und Sprechen können ebenfalls ein Indiz für die Krankheit sein.
Die Sinne – also sehen, hören, riechen, schmecken und tasten – sind in der Regel nicht betroffen. Genauso bleibt die Funktion von Blase und Darm erhalten.
Auch das Bewusstsein und das Denkvermögen sind bei den meisten Betroffenen nicht in Mitleidenschaft gezogen. Sie haben mit der Zeit aber immer mehr Schwierigkeiten, sich auszudrücken. Bei 5 Prozent aller ALS-Patientinnen und -Patienten kann es zudem zu kognitiven Veränderungen und einer frontotemporalen Demenz kommen, erklärt das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).
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Wie hoch ist die Lebenserwartung bei ALS?
Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht. Denn die Krankheit kann individuell unterschiedlich verlaufen. Sie schreitet über die Jahre langsam fort und wirkt sich dabei auf weitere Regionen des Körpers aus. Im finalen Stadium ist größtenteils die Atemmuskulatur gelähmt, Betroffene drohen zu ersticken.
Die Lebenserwartung ist in jedem Fall verkürzt – im Mittel auf drei bis vier Jahre, heißt es vonseiten der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke. Hawking beweist jedoch, dass auch langsamere Verläufe möglich sind. Er litt unter einer besonderen Form von ALS: der chronisch juvenilen ALS. Sie ist gekennzeichnet durch einen sehr langsamen Krankheitsverlauf.
Ist ALS das Gleiche wie Multiple Sklerose?
Nein, es handelt sich um zwei unterschiedliche Erkrankungen – auch, wenn beide das zentrale Nervensystem betreffen. Während bei ALS die Motoneuronen zerstört werden, handelt es sich bei Multipler Sklerose – kurz MS – um eine Autoimmunerkrankung. Dabei greift der Körper die Umhüllung der Nervenfasern, das Myelin, die Nervenzellen und deren Fortsätze an.
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Die Symptome ähneln sich zwar, bei beiden Krankheiten kann es zu Muskellähmungen kommen. Allerdings kann MS auch mit Seh- und Empfindungsstörungen einhergehen, zum Beispiel mit einem Taubheitsgefühl oder Kribbeln in den Fingerspitzen.
Wie entsteht ALS?
In 5 Prozent der Fälle wird ALS vererbt. Genveränderungen würden den Zellstoffwechsel in Mitleidenschaft ziehen, wodurch Nervenzellen geschädigt werden, erklärt das DZNE. Bei der Mehrheit der Betroffenen ist jedoch unklar, warum sie erkranken. Ärztinnen und Ärzte stellt die Ursache der Krankheit noch vor ein Rätsel.
Forscherinnen und Forscher der Universität Bielefeld wollen künstliche Intelligenz gegen die Krankheit einsetzen. Ein Team um den Bioinformatiker Alexander Schönhuth hat ein Verfahren entwickelt, das nach eigenen Angaben mit 87-prozentiger Genauigkeit prognostizieren kann, ob Personen an ALS erkranken oder nicht.
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Statt einen Blick in die Glaskugel zu werfen, schaut sich die KI die Gene der Probandinnen und Probanden an. „Wir haben mehr als 900 Gene gefunden, die eine Rolle bei der Identifizierung der Erkrankung spielen und 644 Gene, die in komplexen Verbindungen interagieren“, wird Schönhut in einer Pressemitteilung der Uni zitiert. „Jedes Gen ist in unterschiedlichen biologischen Prozessen eingebunden. Erfahren wir mehr über die Gene, erfahren wir auch mehr über die Prozesse.“ Die Ergebnisse der Forscherinnen und Forscher sind Mitte Februar im Fachmagazin „Nature Machine Intelligence“ erschienen.
Wie wird ALS diagnostiziert?
Wer neurologische Symptome bei sich bemerkt wie Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken oder unwillkürliche Muskelzuckungen, sollte diese medizinisch abklären lassen – am besten bei einem Neurologen beziehungsweise einer Neurologin. Die Fachärztinnen und Fachärzte können die Muskulatur im Hinblick auf Muskelschwund untersuchen, sie können die Reflexe prüfen, Urin, Blut und Nervenwasser kontrollieren. Auch bildgebende Untersuchungen wie Kernspintomografie oder Röntgenaufnahmen können bei der Diagnose helfen.
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Ist ALS heilbar?
Nein, die Krankheit ist nicht heilbar. Sie verläuft stets tödlich. Ärztinnen und Ärzte können nur versuchen, Beschwerden zu lindern und Betroffenen durch Hilfsmittel wie Rollstühle den Alltag zu erleichtern.
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Es gibt ein Medikament, das in Europa für ALS zugelassen ist: Riluzol. Allerdings kann es die Krankheit nicht bekämpfen, sondern lediglich den Krankheitsverlauf verzögern und die Lebenserwartung verlängern. Das DZNE empfiehlt als zusätzliche Maßnahmen zudem Ergotherapie und Logopädie. Mit einer nicht invasiven Heimbeatmung könne zudem die Atmung unterstützt werden.
Author: Christina White
Last Updated: 1703618402
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